Verabschiedung vom Jugendarbeit-Pionier Hans Artschwager
Kreiszeitung Böblinger Bote, Martin Dudenhöffer 26.07.2024
Seit Jahrzehnten setzt sich Hans Artschwager als Geschäftsführer des Waldhauses im gesamten Kreis Böblingen für Jugendliche ein. Nach mehr als 40 Jahren verabschiedet sich Artschwager nun von der Hildrizhausener Einrichtung in die Rente.
Wer am Donnerstagnachmittag am Ortsrand von Hildrizhausen unterwegs ist, wird das hohe Verkehrsaufkommen mit Autos aus der gesamten Region bemerkt haben. Je näher man dem Waldhaus kommt, umso deutlicher wird es: Hier findet eine größere Veranstaltung statt. Sogar ein Parkanweiser ist vor Ort, um die Gäste zu den Parkplätzen zu lotsen.
Was wie ein Staatsakt aussieht, ist die Verabschiedung des Geschäftsführers des Waldhauses, einem der größten Jugendhilfeträger im Landkreis. Nach 43 Jahren in der Einrichtung, davon 40 Jahren an der Spitze, geht Hans Artschwager in Rente. Um den Pionier der Jugendarbeit gebührend zu verabschieden, haben sich hunderte Gäste auf den Weg nach Hildrizhausengemacht – darunter alte Weggefährten und politische Vertreter wie LandratRoland Bernhard.
Über Nacht musste Artschwager das Ruder übernehmen
„Als Hans Artschwager 1984 nach dem Tod seines Vaters über Nacht die Geschäftsführung übernehmen musste, war das Waldhaus noch ein ‚Heim für böse Buben’, zudem in finanziellen Schwierigkeiten. Heute ist das Waldhaus fest etabliert. Artschwager hat die sozialpädagogische Einrichtung zu dem gemacht, was sie heute ist“, sagt Landrat Bernhard. Artschwagers „fordernde, fördernde, mitunter auch anstrengende Art“, zeichneten den noch 67-Jährigen als Geschäftsführer aus. „Er ist ein Hans-Dampf-in-allen Gassen. Eine Errungenschaft, die auf ewig bleibt, ist die Unterbringung 73 geflüchteter ukrainischer Kinder in die Polizeihochschule Böblingen 2022“, sagt Bernhard.
Dass Hans Artschwager seine Brötchen eines Tages in der Sozialen Arbeit verdienen würde,lag nahe. Immerhin hatte sein Vater Hans senior 1957 das Waldhaus gegründet. Hans Artschwager junior studierte in Tübingen Soziale Arbeit und schnupperte im Jugendamt in Böblingen erstmals in den Berufszweig hinein. „Das hat mir gut gefallen“, erzählt der 67-Jährige, der seit Jahren neben der Sozialpädagogik auch als Handballfunktionär und Kreisrat der SPD aktiv ist. 1981 trat Artschwager in das in der Jugendwohlfahrtspflege, wie die Jugendhilfe zu dieser Zeit noch hieß, tätige Waldhaus am Rande des Schönbuchs ein.
Ehemals ein Heim für „böse Buben“
Mit 15 Mitarbeitern 1984 zu Beginn der Ära Hans Artschwager junior gestartet, beschäftigt die Einrichtung mittlerweile 270 Menschen. Artschwager erinnert sich, wie alles begann. „Damals gab es nur eine stationäre Jugendhilfe, vor allem für Jugendliche mit sozialen Problemen. Viele hatten ständig mit der Polizei zu tun. Da ging es mehr noch um die Beheimatung junger Menschen. Die zumeist jungen Männer lernten bei uns das Miteinander“, erläutert Artschwager.
40 Jahre später – gerade durch die Arbeit von Hans Artschwager und dem ebenfalls kürzlich in Rente gegangenen Michael Weinmann – hat das Waldhaus ein völlig anderes Gesicht erhalten: moderner, vielfältiger und vielseitiger. Neben stationären Angeboten ist das Waldhaus auch in der mobilen und kommunalen Jugendhilfe, der Schulsozialarbeit sowie der ambulanten Familienhilfe engagiert. Im Gegensatz zu früher seien heute mehr Kinder und Jugendliche psychisch belastet. Viele der im Waldhaus betreuten junge Menschen hätten verschiedene Hilfsmaßnahmen durchlaufen. Auch sei die Verweildauer in stationären Wohngruppen deutlich kürzer. „Heute geht es weniger um Beheimatung als mehr um Begleitung von Jugendlichen“, sagt der Sozialpädagoge.
Jugendhilfe in die Öffentlichkeit gebracht
Ein Meilenstein in der Vorwärtsentwicklung des Waldhauses unter Hans Artschwager war die Öffnung der Einrichtung nach außen in die Rathäuser, das Landratsamt, aber auch in Richtung der Bevölkerung – zum Beispiel durch den Aufbau des Café Fuchsbau in Hildrizhausen oder die Präsenz Artschwagers und seiner Waldhaus-Kollegen auf Dorffesten oder Weihnachtsmärkten. Dort stellte der „kluge Netzwerker“, wie einige der Festredner den bald 68-Jährigen bezeichnen, wertvolle Kontakte her. „Ich habe Bürgermeister angesprochen und auf die Bedeutung der Jugendhilfe hingewiesen. Als eine Konsequenz führte Holzgerlingen ein Jugendreferat ein“, erklärt Artschwager.
Erfolge gab es in 40 Jahren Tätigkeit viele. Nicht alles, so der scheidende Geschäftsführer, sei gelungen. „In so einer langen Zeit trifft man auch falsche Entscheidungen oder kann Vorhaben nicht umsetzen, die man gerne umgesetzt gesehen hätte“, betont Hans Artschwager. Dabei denke er vor allem an das Frauen- und Kinderschutzhaus. Für eine solche Einrichtungen hatte sich neben dem Verein „Frauen helfen Frauen“ auch Artschwagers Waldhaus eingesetzt. „Leider hat das bis heute nicht geklappt. Wir hätten vor zwei Jahren schon mit dem Bagger anrücken können. Wir warten aber noch immer auf die Förderzusage des Landes“, beklagt Artschwager das Fehlen eines Frauenhauses im Kreis Böblingen seit nunmehr 13 Jahren.
Mehr Zeit für die eigene Terrasse
Von außen wird der Neu-Rentner die Entwicklungen seines Lebenswerkes beobachten. Seinen Nachfolgern, seiner Tochter Lisa Artschwager sowie Philipp Löffler, stehe er bis Jahresende unterstützend zur Seite. Auch in seiner Funktion als Gesellschafter bleibe er nah am Geschehen. „Ich genieße nun entspanntere Morgen auf meiner Terrasse.“ Den ersten Schritt ins neue Leben ist er am Tag nach der Verabschiedung gegangen. Da sitzt er im Auto zu den Olympischen Spielen.