Jahresrückblick Jugendberufshilfe
Das Projekt YOLO | „Man lebt nur einmal!“
Einblick ins System: Der Fall Ramin
Die Kollegin aus dem lokalen Jobcenter rief mich an und teilte mir mit, dass sie ein großes Anliegen habe: Sie betreue gerade einen jungen Mann, der aus ihrer Sicht dringend Hilfe benötige, da er schwerwiegende Probleme habe.
So kam Ramin, ein 19-jähriger afghanischer Mann, zu seinem ersten Termin bei uns im Projekt YOLO. Begleitet wurde er von seinem Bruder und dessen Ehefrau. Ramin erzählte von seiner Zeit in Haft, wo er nach eigenen Angaben mit Stromschlägen misshandelt worden war. Sein Bruder berichtete, dass Ramin sich an keine Regeln halte, Stimmen höre und nachts immer das Licht anlasse. Er könne sich nicht in ein gemeinsames Miteinander einfügen. Außerdem verschwände er immer wieder tagelang und schlafe selbst bei Minusgraden im Freien. Ramin selbst schilderte, dass es sich so anfühlen würde, als zöge ihn etwas an Ketten nach draußen. – Schnell wurde klar, dass Ramin sich in einer schweren Krise befand und dass er möglicherweise psychisch krank war.
Gemeinde: Notunterkunft als letzte Hoffnung?
Gemeinsam kontaktierten wir die zuständige Mitarbeiterin der Gemeinde, die für Notunterkünfte verantwortlich ist. Sie gewährte uns einen Termin für den nächsten Tag. Ramin wurde mehrfach erklärt, worum es bei diesem Termin ging, und er erhielt einen Zettel mit den wichtigsten Informationen, damit er erscheinen würde. Dennoch vergaß er immer wieder, worum es ging, und wirkte zeitlich und örtlich desorientiert. Trotz allem erschien Ramin am nächsten Tag zum Termin. Im Gespräch mit der Mitarbeiterin der Gemeinde stellte sich schnell heraus, dass sie wenig Bereitschaft zeigte, ihn aufzunehmen. Immer wieder betonte sie, dass die Notunterkunft nicht der richtige Ort für ihn sei – ein Punkt, in dem wir ihr zustimmen mussten. Leider eskalierte die Situation, und sie brach das Gespräch ab. Ramin wurde der Zutritt zur Unterkunft verweigert.
Jugendamt, gesetzliche Betreuung & ein Jahr ohne Unterstützung
Im Laufe der weiteren Gespräche erfuhren wir, dass Ramin bereits einen gesetzlichen Betreuer sowie eine Sachbearbeiterin beim Jugendamt hatte. Vor über einem Jahr war ihm ein betreuter Wohnplatz angeboten worden, den die Familie jedoch aufgrund der Entfernung ablehnte. Danach wurde Ramin sich selbst überlassen. In der Zwischenzeit häufte er Schulden an, die sein Bruder immer wieder ausglich, obwohl Ramin rechtlich gar nicht geschäftsfähig war. Der Bruder erklärte, er wollte „ihm helfen und keine Probleme haben.“
Psychiatrische Versorgung: Kapazitätsgrenzen & Abweisungen
Nach der Ablehnung durch die Gemeinde wandte sich die Familie an die psychiatrische Klinik im Landkreis. Dort äußerte Ramin in seiner akuten psychischen Krise, dass er keine Hilfe wolle und nicht in die Klinik gehen würde. Der Oberarzt entschied daraufhin, ihn nicht aufzunehmen. Nach einer Weile erklärte sich Ramin bereit, doch stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber die Klinik lehnte ihn erneut ab – dieses Mal aufgrund von Überbelegung. Der Oberarzt versprach jedoch, ihn aufzunehmen, sobald ein Platz frei sei. Bis dahin lebte Ramin weiter auf der Straße.
Eskalation und Haft: Der letzte Ausweg?
Die Situation eskalierte schließlich: Ramin beging einen bewaffneten Raubüberfall und wurde in Untersuchungshaft genommen. Sein gesetzlicher Betreuer bemerkte dazu, dass er nun „wenigstens ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen habe“.
Ein Einzelfall – oder doch ein Systemproblem?
Der Fall Ramin ist einer von vielen, die wir im Projekt YOLO betreuen. Er zeigt deutlich die Missstände in unserem System auf. Nicht immer eskalieren die Situationen so wie bei ihm, und es gibt auch zunehmend positive Beispiele, in denen eine gute Zusammenarbeit schnelle Hilfe ermöglicht. Doch in der Regel sind alle Beteiligten überlastet. Es mangelt weniger an Menschlichkeit als vielmehr an klarer Abstimmung und einem gemeinsamen „Kurs“. – Deshalb wünsche ich mir: „Mehr Kurs halten und Zukunft gestalten!“
Wie kam es dazu, dass die Bedarfe nach Hilfen wie YOLO so gestiegen sind?
Hier ein paar Überlegungen und mögliche Erklärungen der Mitarbeitenden:
- Nachwirkungen der Corona-Krise
Wir haben den Eindruck, dass viele junge Menschen durch die Auswirkungen der Einschränkungen während der Corona-Krise immer noch mit unterschiedlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Viele junge Menschen, die eher zurückhaltender sind, haben es verlernt, an einem geregelten Leben teilzunehmen. Und viele sind von sozialer Isolation betroffen. Einige junge Menschen mit psychischen Auffälligkeiten oder sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf haben nach der Corona-Krise den Weg zurück ins Schulsystem nicht mehr gefunden. Manche haben deshalb aktuell keinen Schulabschluss und viele konnten nicht an dem berufsvorbereitenden Programm der jeweiligen Schule teilnehmen. Oft hat es in diesen Fällen keinen Kontakt zur Berufsberatung gegeben.
- Zuwanderung
Wir haben im Jahr 2024 viele junge Menschen unterstützt, die noch nicht lange in Deutschland leben und deshalb Unterstützung benötigen – bei Anträgen, Anerkennung des Schulabschlusses, beim Finden einer passenden Wohnmöglichkeit sowie beim Schreiben von Bewerbungen und bei vielen weiteren Anliegen. Diesen jungen Menschen ist das Ausbildungssystem in Deutschland nicht bekannt. Auch die Eltern können hier oft wenig unterstützen, weshalb YOLO eine sinnvolle Hilfe darstellt.
- Bekanntheit des Angebots
YOLO ist mittlerweile ein sehr bekanntes Angebot im Landkreis Böblingen. Viele unterschiedliche Kooperationspartner:innen haben unsere Flyer und vermitteln an YOLO.
- Mund- zu-Mund-Propaganda
2024 hatten wir überdurchschnittlich viele junge Menschen, die auf Empfehlung von Freundinnen und Freunden, Bekannten oder Verwandten von (ehemaligen) YOLO-Teilnehmer:innen zu uns kamen.
Das Projekt BAAN | Hilfe zur beruflichen Orientierung
Im Jahr 2024 bot das Projekt BAAN eine Vielzahl an Aktivitäten an, die junge Erwachsene sowohl beruflich als auch gesellschaftlich förderten. Im berufsbezogenen Unterricht standen Themen wie Eigenpräsentation, Vorstellungsgespräche und die Erstellung von Bewerbungsunterlagen im Mittelpunkt. Highlights waren die Teilnahme am Programm „Berufe am Theater“ des Staatstheaters Stuttgart und einige Praktika, die wertvolle praktische Erfahrungen ermöglichten. Kooperationen, etwa mit der hauseigenen Metallwerkstatt, und der Besuch der regionalen Bildungsmesse IBIS rundeten das Angebot ab.
Im gesellschaftsbezogenen Unterricht wurden Themen wie Geschlechtsstereotypen und politische Bildung behandelt. Der Workshop zur Migration, Identität und Exil in der Staatsgalerie, die Besichtigung des Landtags sowie der Besuch der KZ-Gedenkstätte in Tailfingen-Hailfingen ergänzten die politische Bildung und förderten das Bewusstsein für gesellschaftliche Themen.
Darüber hinaus nahmen die Teilnehmenden an praxisorientierten Schulungen teil, etwa an den Gassi-Schulungen des Tierheims e.V., und sie erlebten teambildende Ausflüge in den Tierpark Pforzheim oder zum Freizeitpark Tripsdrill. Gegen Ende des Jahres stand die Produktion für den Feuer- und Kunstmarkt auf dem Stammgelände des Waldhauses an. Die Teilnehmenden stellten in Eigenproduktion verschiedene Lebensmittel wie Marmelade, Kräutersalz und Seife her und sie übten sich am Tag der Veranstaltung auch im Verkauf. Insgesamt bot das Jahr 2024 eine abwechslungsreiche Mischung aus beruflicher Qualifizierung und gesellschaftlicher Bildung, welche die Teilnehmenden umfassend förderte.
Begleitende Arbeitsstunden (BGA)
Nico: Vom Arbeitstündler zum Azubi mit Ziel „Zukunftsgestalter“ |
Ein Zwischenbericht
„Kurs halten?! Freunde treffen, Spaß haben, Grenzen testen, Schule machen, Beruf finden, Familie aushalten … und dann immer Kurs halten und meine Zukunft gestalten!? – Na, vielen Dank!“
So ähnlich fühlt sich das Erwachsenwerden wohl oft an. Es gibt Wünsche und Interessen, Pflichten und Probleme und ganz viele tolle Möglichkeiten. Und jeder sagt dir: Du musst nur zugreifen. Du musst dich nur melden. Du musst nur hingehen. Du musst einfach mit anderen Sachen aufhören. Dann klappt es schon. – Deine Verantwortung!
Als Nico (Name geändert) vor über zwei Jahren zum Waldhaus kam, wurde er von der Jugendgerichtshilfe zu uns geschickt. Er war kein Gestalter, kein Manager seiner Zukunft. Im Gegenteil: Er war schon auf Bewährung. Und trotz enger Vorgaben hatte er keinen klaren Kurs. Offensichtlich noch nicht mal die Planung für den nächsten Tag hatte er im Griff. – Familie? Vor allem Probleme. – Schulplatz? Auch so gut wie weg. – Bewährungsauflagen? Klappten auch nicht wirklich. Die einzige Orientierung war ein Freund, der leider ebenfalls konsumierte und Scheiße baute. Wenn Nico ehrlich ist, dann war das damals sein „Gestalter“. Ohne eigene Verantwortung abzulehnen oder Schuld zuzuweisen.
Arbeitsstunden auf Weisung der Jugendgerichtshilfe
Um die Inhaftierung doch noch zu vermeiden, sollte er nach Weisung der JGH im Waldhaus seine Arbeitsstunden ableisten. Das Angebot der begleitenden Arbeitstungen (BGA) ist besonders für die Jugendlichen etabliert worden, die es eben nicht mehr schaffen, regelmäßig und verlässlich aufzustehen und einer Beschäftigung nachzugehen. Bei der BGA kam er also irgendwann an. Mit viel Druck, aber er war da und leistete ein paar Stunden ab. – Es war ein Desaster. Vor allem der Drogenkonsum. Aber auch der Freund, der gleichzeitig auch seine Stunden ableisten musste.
Dabei gab es eigentlich keine Konflikte mit Nico, weil er unhöflich oder aggressiv wäre. Es war eher seine Unfähigkeit, sich auf irgendwas einzulassen, sich zu konzentrieren und nüchtern zu sein. Arbeitsfähig war er nicht. Dabei ist die BGA gar nicht nur „fürs Arbeiten“ da. Eigentlich geht es hier auch darum, dass man Fähigkeiten bei sich entdecken kann. Oder Perspektiven eröffnet und Kontakte geknüpft werden können. Für Nico war das alles kein Thema. Wie auch, wenn die nächste Herausforderung für ihn schon war, dass er selbständig aus der Pause zurückfand. Es ging nicht darum, pünktlich zu sein, sondern erst einmal nur ums „Zurückfinden“. Gleichzeitig sollte er aber weiter zur Schule gehen. Wie erwartet, war das Thema schnell vorbei. – Rauswurf. Hatte Nico seinen Kurs nun endgültig verloren? – Damals eigentlich schon.

BAAN und Prowerk
Hilfreich war, dass er schon im Waldhaus „angedockt“ war. Hier gibt es die Möglichkeit, schnell und unbürokratisch einen Ersatz bei der Unterstützung zu bekommen. Keine lange Suche, keine langen Wartezeiten. Die beiden Angebote der Jugendberufshilfe BAAN und Prowerk kommen in Betracht. Auch gibt es keine langen Wege. Und die neuen Ansprechpartner kannte Nico schon vom Sehen. Der alte Anleiter der Arbeitsstunden behielt ihn trotzdem im Blick. Eckpunkte, die seine Kurswiederfindung einfacher machen sollten. Hätte klappen können, aber bei Nico klappte es nach kurzer Zeit wieder nicht. Widerruf der Bewährung und Haft in Adelsheim waren die Folge. – War das jetzt das Ende mit „Gestalten der Zukunft“?
Intensiv-WG und Praktikum in der Werkstatt
Die Haft und der Entzug tun ihm nicht gut. Es zog ihm dem Boden unter den Beinen weg. – Klar, Haft verbessert das Leben nicht. Aber so offensichtlich verschlechtern darf sie es auch nicht. Aber einfach entlassen? Ohne neuen Kursbestimmt keine Option. – Aber wieder was ganz „Neues“ suchen? Stabilisierung und „ganz neu“ passt irgendwie nicht gut zusammen. – Da kommt für Nico wieder das Waldhaus ins Spiel. Diesmal mit der Intensivwohngruppe. Das kennt Nico ja schon. Denn seine Arbeitsstunden fanden zuvor schon in Sichtweite statt. Die Betreuer:innen kennen ihn auch schon – leider. Nico hätte bestimmt lieber irgendwo mit „weißer Weste“ angefangen. Auf der anderen Seite geben bekannte Gesichter aber auch ein Verbundenheitsgefühl. So fragt er oft beim Anleiter der BGA nach, „ob heute auch Arbeitsstündler da sind?“, oft gefolgt von: „Weißt du noch, als ich damals Stunden machen musste?“.
Nach einer Weile und über das Beschäftigungsprogramm der Wohngruppe begann er ein Praktikum in der Waldhaus-Werkstatt. Das waren kleine Schritte, keine Meilensteine. Immer wieder Tränen und Probleme. Ärger und Stress. Aber auch neue Ziele. – Irgendwann tauchte das Thema „Ausbildung“ auf. Erst in der Ferne, dann wurde es immer konkreter: Geht es jetzt schon ans „Zukunft gestalten“?
Nico wird Azubi!
Mitte 2024 war es dann soweit. Nico wird Azubi im Waldhaus. Kurs gesetzt! Doch das Leben ist nicht so einfach. Der „Freund“ kommt nun ebenfalls aus dem Knast. Die Anziehungskraft ist groß. Die neuen Anforderungen in der Ausbildung auch. Rückschläge und Erfolgserlebnisse wechseln sich ab. Der Kurs ist mal klarer, dann mal wieder fast verschwunden. Die Antwort auf die Frage, wo Nicos Weg mal hinführt, steht heute noch nicht fest. Und das ist ja eigentlich nicht schlimm. Zukunft ist noch kein Ziel. Zukunft gestaltet sich, indem man seinen Kurs sucht, ihn hält und ihn korrigiert, ihn ändert und ihn auch mal ganz neu berechnen muss.
Die aktuell wichtigste Frage ist aber, welches Zwischenfazit Nico und wir ziehen. Nico hat in seiner Zeit viele Angebote des Waldhauses kennengelernt. Er hat sie gut – und wirklich oft weniger gut genutzt. Da muss man ehrlich sein. Aber er ist bei uns. Er findet mittlerweile nicht nur alleine seinen Weg aus der Pause zurück – er macht auch eine Ausbildung bei uns. Das ist ein Erfolg und ein hilfreicher Baustein für seinen Werdegang – und da sind wir uns mit Nico einig – liegt aber nicht nur in, sondern besonders zwischen den Angeboten. Die kurzen Wege und die passgenauen, flexiblen Übergangsmöglichkeiten im Waldhaus sind wohl ein wichtiger Bestandteil für seine Entwicklung. Nur so lässt sich gewährleisten, dass Umwege, Sackgassen und Ehrenrunden keine Widersprüche zum „Kurshalten“ sind, sondern viel mehr die Möglichkeiten zur Gestaltung von Zukunft darstellen.
Begleitende Arbeitsstunden (BGA)
Übersetzung der Videoaufnahme: „Rückmeldung aus Netzwerk 33, Frau B. aus der Ukraine“
„Guten Tag, mein Name ist Liuydmila Bilousowa. Das Neue Jahr stellt mich vor neue Herausforderungen, ich meiner Beraterin im Jobcenter bin sehr dankbar, die mir diese Maßnahme, Netzwerk 33, empfohlen hat. Die Betreuenden sind sehr nett, die Atmosphäre in der Gruppe ist warm und herzlich. Ich habe hier viel Hilfe erfahren und Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache.“
Die Maßnahme Netzwerk 33 ist eine niedrigschwellige tagesstrukturierende Maßnahme für Menschen ab 25 Jahren, die schon länger aus dem Berufsleben raus sind. Das Ziel ist, die Teilnehmerinnen und die Teilnehmer in einem zeitlich begrenzten Umfang von sechs bis neun Monaten individuell zu begleiten und beim Aufbau einer Tagesstruktur zu unterstützen. Die Teilnehmenden bekommen individuelle Unterstützung bei persönlichen Angelegenheiten, etwa bei der Arbeits- und Wohnungssuche, der Kommunikation mit Behörden und mit diversen Beratungsstellen. Die Inhalte der Maßnahme werden auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden abgestimmt.
Es gibt Gruppenangebote, wie etwa kreatives Gestalten, Ausflüge, gemeinsames Kochen oder Bewegungsangebote. Beim Kochen dürfen sich alle kulinarisch ausleben und der Gruppe Gerichte aus dem jeweiligen Heimatland präsentieren. Die Maßnahme Netzwerk 33 stellt das perfekte Abbild der Gesellschaft sowie der Chancen und Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft dar. – Gemeinsam bestreiten wir den Tag und gestalten unsere Zukunft.
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Mehr InformationenKiZplus 5.0 | Kinder im Zentrum
KiZplus 5.0 ist ein Projekt zur nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation und der gesellschaftlichen Teilhabe von Familien und ihren Kindern
Worum geht es? – KiZplus 5.0 macht Familien und Alleinerziehenden ein individuelles Beratungs- und Unterstützungsangebot ganz nach dem Prinzip „Hilfen aus einer Hand“. Das Projekt verfolgt einen Beratungsansatz, welcher die gesamte Familiensituation im Blick hat.
Mit Kinderzuschlag, Wohngeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe (BuT) konnten auch vergangenes Jahr wieder neue Perspektiven geschaffen werden. Durch den Kindergeldzuschlag konnte die finanzielle Situation der Familien verbessert werden. Dank der ermöglichten Nachhilfe freuen sich Schülerinnen, Schüler und Eltern über mehr Motivation und bessere Noten. Und nicht zuletzt durch das Wohngeld war es einigen Familien möglich, ihre Wohnungen zu halten und so in ihrer gewachsenen Lebenswelt zu bleiben. Durch die Unterstützung konnten die Familien ihren Kurs halten und jetzt ihre Zukunft gestalten.
Die JBH-Projekte BeJuga, Tandem III und FOC
Bericht vom ersten Austauschnachmittag „Come together“ in Sindelfingen für alle Teilnehmenden aus den Projekten BeJuga, Tandem III und FOC:
Im Oktober 2024 organisierten wir zum ersten Mal einen Austauschnachmittag, ein „Come together“, in Sindelfingen für alle Teilnehmenden in den Projekten BeJuga, Tandem III und FOC. Dazu baten wir eine ehemalige Teilnehmerin, die durch das Coaching eine Arbeitsstelle gefunden hatte, von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten. Bei mitgebrachten Snacks, Kaffee und Kuchen lernten sich die Teilnehmenden in der Kleingruppe näher kennen und tauschten sich über ihre Fähigkeiten und Erfahrungen aus.
Dann berichtete die ehemalige Teilnehmerin des Coachings voller Begeisterung von sich. Sie erzählte, dass sie zunächst nie geglaubt hätte, in Deutschland eine Arbeit zu finden, und dass sie sich dies damals auch nicht zugetraut habe. Durch die Motivation der Projektmitarbeiterin wagte sie erste Schritte und absolvierte zwei längere Praktika, wo sie sehr gute Arbeitszeugnisse erhielt. Aufgrund der Arbeitszeugnisse bekam sie eine Zusage für eine Teilzeitstelle in einem Schulkindergarten für Kinder mit Förderbedarf. Sie selbst und ihr Arbeitgeber sind sehr zufrieden und sie kann sich intern qualifizieren.
Sie erfuhr durch die Arbeit sehr viel Selbstwirksamkeit und gewann Selbstvertrauen, sodass sie sich nach kurzer Zeit selbstständig einen Minijob in der Schülerbetreuung suchte, welchen sie nun immer noch ausübt. Sie ermutigte die anderen Besucher:innen in einer sehr authentischen Weise, dass eine Arbeit einen genau in diesen Punkten beflügeln kann und dass Schwierigkeiten leichter überwunden werden können, ganz egal welche beschwerlichen Lebensverhältnisse oder gesundheitlichen Einschränkungen man hat.
TRIAS | Schulverweigerung | Die 2. Chance | Ein Fallbeispiel
Die 12-jährige Schülerin Pia und ihre Familie waren Anfang des Jahres zu einem ersten Gespräch bei mir im Waldhaus. Die Empfehlung für TRIAS erhielten sie seitens der Schule, konkret durch die Lehrkraft der sechsten Klasse und die Schulsozialarbeit. „In unseren Erstgesprächen stellen wir zunächst TRIAS und unsere Arbeitsweise vor. Uns ist es besonders wichtig, dass die Familien genau verstehen, was sie erwartet und wie wir arbeiten.“
Im Gespräch erzählten die Eltern, dass Pia seit einem halben Jahr nicht mehr zur Schule gehe, was eine Fehlzeit von 100 Prozent über die letzten sechs Monate bedeute. Pia leide unter starken Ängsten und traue sich nicht mehr in die Schule. In den letzten Tagen, die sie noch dort verbracht hatte, habe sie Symptome wie Herzklopfen, starkes Zittern und Übelkeit verspürt. Diese Beschwerden hielten mehrere Stunden an und traten auch zu Hause auf.
Der Kinderarzt konnte bei einer anschließenden Untersuchung keine medizinischen Auffälligkeiten feststellen, weshalb vermutet wurde, dass es sich um psychosomatische Symptome handelte. Die Familie wirkte verzweifelt und ohnmächtig, während Pia einen schüchternen und zurückgezogenen Eindruck machte. Nach den Schilderungen der Familie stellten wir mögliche erste Schritte vor und erkundigten uns, ob sie die Unterstützung durch TRIAS in Anspruch nehmen möchten.
TRIAS leistet Hilfe und unterstützt die Reintegration in der Schule.
Die Familie zeigte sich erleichtert und nahm die Hilfe gerne an. Bei den ersten Terminen nutzten wir die Zeit, um uns gegenseitig kennenzulernen und Vertrauen sowie eine stabile Beziehung aufzubauen. Nachdem sich Pia Aktivitäten gewünscht hatte, die sie gerne in den Terminen machen wollte, starteten wir damit. Gemeinsam zeichneten und malten wir oder gingen spazieren. Neben Pias Wünschen arbeiteten wir intensiv mit ihren Stärken, Ressourcen und Fähigkeiten, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken und eine positive Perspektive zu entwickeln. So gestalteten wir beispielsweise eine „Ressourcen-Schatzkiste“ für sie.
Nach einigen Wochen wurde Pia zunehmend aufgeschlossener und zugewandter, und eine spürbare Vertrauensbasis entstand. Mithilfe verschiedener Methoden näherten wir uns langsam dem Thema Schule. Gemeinsam sprachen wir darüber, welche konkreten Sorgen und Ängste Pia damit verband und was ihr helfen könnte, damit umzugehen. Zudem erarbeiteten wir einen detaillierten Plan mit kleinen, für sie realistischen Schritten zur Reintegration in die Schule.
„Es ist wie eine Brücke zurück in den Unterricht …“
Ein erstes Treffen mit dem Klassenlehrer und der Schulsozialarbeit fand in der Schule statt, um Pia eine Annäherung an den Schulort zu ermöglichen und den Plan abzustimmen. Die Lehrkraft und der Schulsozialarbeiter zeigten sich verständnisvoll, einfühlsam und unterstützten die geplanten kleinen Schritte. Für Pia war es wichtig, an den ersten Tagen begleitet zu werden und zunächst stundenweise am Unterricht teilzunehmen, um Überforderung zu vermeiden. Am Eingang der Schule traf sie sich mit einer Freundin, um jemanden an ihrer Seite zu haben. In der Klasse wurde sie herzlich aufgenommen. Pia meisterte die ersten Tage gut. Obwohl sie weiterhin gelegentlich körperliche Angstsymptome verspürte, konnte sie mit den erarbeiteten Strategien gut damit umgehen und sich selbst beruhigen. Wir besprachen weiterhin mehrmals die Woche genau, was anstand, und klärten, an wen sie sich bei Unsicherheiten wenden könne. Schon bald gelang es Pia wieder regelmäßig zur Schule zu gehen.
Unsere Treffen fanden ab diesem Zeitpunkt einmal wöchentlich statt, um die Schulwoche zu reflektieren, aktuelle Themen zu besprechen und weiter an ihrer Stabilität zu arbeiten. Auch nach den Ferien schaffte sie den Wiedereinstieg ohne Probleme – „ein oft schwieriger Schritt für Kinder mit Schulangst, da die lange Pause häufig zusätzliche Unsicherheiten mit sich bringt.“ Seit April besucht Pia wieder regelmäßig und gerne die Schule. Sie fühlt sich in ihrer Klasse wohl und konnte dank Nachhilfe den versäumten Stoff gut aufholen.
Fazit: Dieser Fall war ein echtes Bilderbuch-Beispiel!
Die Reintegration in die Schule gelang erstaunlich schnell und Pia konnte sich gut in den Schulalltag einfinden, weil sie durch ein engagiertes Umfeld unterstützt wurde.
„In vielen Fällen ist der Weg jedoch länger und erfordert von den Kindern und Jugendlichen großen Mut und Durchhaltevermögen, um trotz ihrer Ängste wieder regelmäßig die Schule zu besuchen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Reintegration der Schüler:innen bei TRIAS zu 94 Prozent erfolgreich gelingt.“
(Waldhaus-Mitarbeiterin im Projekt TRIAS)